Montag, 30. Mai 2016

Gefangen in einer Zeitblase

Erst kam Weihnachten, und damit verbunden, wie jedes Jahr, die Fahrt nach Dänemark. Zur Familie. Zur Familie von Lars, zur Mutter von Lars. Mittlerweile auch zu meiner Familie, irgendwie. Mit seinem Bruder und ein, zwei "Kindern" dabei.
Dann mussten wir unsere Weinberge schneiden, mehr Arbeit als früher, weil wir Parzellen dazu gekauft und gepachtet haben.
Dann gab es viel Arbeit im Büro, wenige freie Tage, keinen klaren Kopf für Postings in diesem Blog.
Dann fuhrem wir wieder nach Dänemark, Anfang April, weil wir es versprochen hatten.
Dann mussten die Reben gebogen und gebunden werden, Pheromone gehängt, es reichte noch nicht mal für die Teilnahme an einer Weinrallye, der Kopf  so voll, der Akku so leer.
Dann wollte Lars alleine nach Dänemark fahren, zu Besuch.
Und dann sind wir beide gefahren, ungeplant, überstürzt, das Herz schwer und die Gedanken weit, weit weg.

Und dann waren wir eine Woche lang wie in einer Zeitblase gefangen.
Saßen bei strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse des Hauses nördlich von Kopenhagen, und es fühlte sich alles so verkehrt an.
Blätterten Ordner durch mit Rechnungen, Dokumenten, Bestätigungen.
Entdeckten vergessene Photoalben.
Telefonierten und arrangierten und holten den von der anderen Seite der Welt angereisten Bruder vom Flughafen ab, froh, nicht mehr ganz so allein zu sein.
Bestellten Blumen und Erdbeerkuchen, besuchten den Anwalt.
Fuhren ans Meer, dachten an die letzten Spaziergänge. Tränen in den Augen, immer wieder. Aber auch Freude über die vergangene Zeit, Dankbarkeit, ein Schimmer vom gelebten und erlebten Glück.

Sprachen mit dem Pfarrer, einem jungen Typen in Jeans und T-Shirt, mit fröhlichen Augen und warmer Stimme, der uns mit einfachen Fragen eine kleine Geschichte eines langen Lebens entlockte. Suchten Lieder aus, hoffnungsvolle, in denen von Sonne und Meer, vom Morgen und vom Licht gesungen wurde.
Freuten uns, dass die Kinder kamen, dass die Familie noch einmal zusammen war.
Deckten dem Tisch, brachen auf, trafen alte Freunde, schritten zusammen an der hellen Kirche vorbei über den  Friedhof, zwischen prächtigen Grabstätten, blühenden Bäumen und akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken hin zum Feld mit den schlichten Urnengräbern und der grauen Steinplatte, auf der jetzt erst ein Name stand. Hörten die Orgel oben in der Kirche anstimmen.
Bare få det hele overstået.


Trugen den schlichten weißen Sarg mit dem rot-weiß leuchtenden, duftenden Blumengesteck aus der Kirche, hintendrauf drei kleine Schaufeln Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Saßen auf der Terrasse, Erdbeerkuchen und Kaffee, Riesling, die Amseln jubilierten. Ein strahlender, sonniger, dänischer Sommertag, den sie geliebt hätte.

Jetzt ist alles anders, aber es wird irgendwann wieder gut. Irgendwie.