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Dienstag, 17. Dezember 2013

180° Adventskalender: Nach Diktat verreist

http://hundertachtziggrad.blogspot.de/ Tannenzweige. Rote Kerzen. Plätzchenteller. Gänsebraten. Glühwein. Volle Innenstädte, Weihnachtsmärkte. Wunschzettel, Geschenke! Und, meinetwegen, Schnee. Das ist Advent, das ist Weihnachten. 
Und nichts, aber auch gar nichts davon habe ich mir dieses Jahr angetan. Nichts dekoriert, keinen einzigen Keks gebacken, die paar “Geschenke” in der Buchhandlung mV bestellt, fertig. Weihnachtlich ist mir trotzdem, denn zu Weihnachten gehört, neben all dem Schnickschnack, musikalisch klebrigsüß aus der Retorte untermalt, das Reisen.
So wie die Weihnachtsgeschichte eigentlich auch die einer Reise ist, alle reisen sie, das Paar, die Hirten, der Stern, die Könige, die einen kürzer, die anderen länger, und sie kommen an und feiern.


Solange ich denken kann, sind wir zu Weihnachten quer durch Frankreich und Deutschland gefahren. Nicht wirklich verreist, bewahre, aber ein, zwei Tage vor dem Fest wurde das Auto bis unters Dach vollgepackt und dann brach die Familie - unsere Eltern, wir zwei Kinder, ein, zwei Katzen - auf, um “nachhause” zu fahren, nach Bothfeld und Isernhagen, wo die Großeltern wohnten.
Lange Fahrten waren das, anfangs fast 1100 Kilometer, mehr als zehn Stunden. Wenn wir ankamen, war es schon dunkel, aber meine Großmutter hatte eine Topf ihrer legendären Hühnersuppe auf dem Herd, schlaftrunken setzten wir Kinder uns auf die alte, plastikriffelrot bezogene Eckbank und löffelten die herrliche heiße Suppe. 

Und so ging es weiter, die anderen Großeltern wollte besucht werden, wattegraue Tage, Kaffeetrinken im plüschigen winzigen Wohnzimmer von Omma und Oppa, riesige gestickte Gobelins an den Wänden, üppig wuchernde Orchideen auf der Fensterbank und ein Telefon in gehäkelter Schutzhülle auf dem Tischchen im Flur, eine Reise in eine andere Welt. Zu später Stunde stieg Oppa hinab in den Keller, um eine Flasche seines geliebten Frankenweins zu holen, und wir Kinder liefen mit, sprachlos angesichts der Schätze, die dort in seinem "Büro" lagen - selbstgebastelte Lampen aus leeren Bocksbeutelflaschen, Briefpapier aus Birkenrinde, bemalte Baumwurzeln und seltene Steine.
Und nach Weihnachten wurde das Auto wieder bepackt, diesmal noch voller, und es ging zurück nach Hause, ins andere Zuhause. Dass das Ziel und das Wunderbare dieser Weihnachtsreisen gar nicht so sehr das Ankommen war, habe ich erst viel später gespürt.


Reisen sind für uns Geschenke, und zwar ganz wunderbare, weil wir meist vorher nicht genau wissen, was uns erwartet. Vor zwei Jahren haben wir uns kurzentschlossen im September ins Auto gesetzt und sind 1100 Kilometer nach Süden gefahren, in mein geliebtes Chianti Classico.
Auf der Fahrt gerieten wir in einen heftigen Wintereinbruch und schlichen den Brennerpass durch 20 Zentimeter Neuschnee hoch - natürlich mit Sommerreifen -, während rechts von und reihenweise die Bäume unter der Schneelast über die Bahnstrecke knickten. Mehr als abenteuerlich, diese Fahrt, und am Ziel erwartete uns herrliches Spätsommerwetter. Wir haben in einer winzigen Pension gehaust, Weingüter besucht, eine knappe Woche nur, aber reiche, volle Tage, einzigartig, unbestellbar, unbezahlbar.
In diesem Jahr sind wir kurz vor der Adventszeit eher zufällig in die Planung für ein Wildschweinessen an der Mosel hineingerutscht. Ein gutes Dutzend Leute, von denen wir nur zwei kannten, alles Weinmacher und -menschen, ein großes Weingut mit Übernachtungsmöglichkeit, die Aussicht auf gutes Essen und große Weine, ein Wochenende Anfang Dezember. Eine Reise, eine kurze, aber vielversprechende.
  Es wurde, um es kurz zu machen, ein großartiger Abend mit einem großartigen Gastgeber - Danke, Gernot! - und unglaublich freundlichen, offenen, interessanten Mit-Gästen. An diesen Abend werden wir uns noch lange erinnern, wenn wir längst vergessen haben, was es diesmal zu Weihnachten an Geschenken gab. Diese Reise, dieser Abend - ein großes Geschenk, eins von denen, die man sich nicht selbst machen kann, weil es dazu anderer bedarf.
Uns erwartete nach dem Aperitif in der Küche eine lange, festlich gedeckte Tafel, ein kleines Menü aus nussigem Rotkohlsalat vorweg, phantastischem Wildschweinrücken mit Grünkohl, Sauerkraut und würzigem Aligot, zum Abschluss Crème bavairoise mit marinierten Orangenfilets. 



Getrunken wurde neben mitgebrachten Schätzen wie diversen Champagner- und Sektflaschen vor allem Pinot Noir, große Namen standen da auf dem Tisch, aber beeindruckt hat mich vor allem einer, einer der ersten.




2007er Spätburgunder Auslese trocken
Graacher Himmelreich
Barrique
Weingut Günther Steinmetz 
13,5%

Reife, kühle Frucht, Schwarzkirsche und dunkle Beeren, leicht süßliches, gut eingebundenes Holz.

Mineralische Unterlage, spürbare Säure, ordentliches Tanningerüst, alles sehr fest und straff, gute Länge. Ein Wein, der sich einprägt, der einzige, den ich am Tisch mit dem Handy photographiert habe, daher die mäßige Bildqualität.

Über die Spätburgunder von Stefan Steinmetz wurde ja in den letzten ein, zwei Jahren schon viel geschrieben. Ich habe Weine und Winzer erst jetzt kennen gelernt und bin - beeindruckt.

Kaufen kann man den 2007er nicht mehr, für sehr empfehlenswert halte ich aber (u.a.) den 2009er Kestener Herrenberg Spätburgunder unfiltriert. 

Und für alle, die mich und uns kennen und sich wundern, dass es hier nur um Rotwein geht: Natürlich haben wir spätabends auch noch Reparaturriesling getrunken.

Reparaturriesling, den packen wir auch ein, wenn es demnächst wieder auf die Reise geht. Weihnachtszeit ist Reisezeit, immer noch und immer wieder, es geht weit nach Norden, wieder 1100 Kilometer. Und wieder wollen Familie und Freunde besucht und beglückt werden, wieder werden wir viel unterwegs sein. Auf der Hinfahrt machen wir Station bei einer lieben Freundin, die wir - wenig überraschend - auf einer dieser halbspontanen Wochenendreisen mit ungewissem Ausgang kennen gelernt haben, nachhause geht's - wie vor vielen Jahren - über Bothfeld und Isernhagen. Auf lange Sicht ändert sich gar nicht so viel.

Und, ja, wir nehmen sicher auch ein paar Geschenke mit, aber was wir bekommen und mit zurücknehmen, lässt sich nicht in Glanzpapier wickeln und unter den Baum legen. Und so langsam freue ich mich auf die Reise - es wird Weihnachten.

Freitag, 3. Mai 2013

Eine Art Familientreffen, ein Froschkönig und die üblichen Verdächtigen

Die Prowein ist sowas wie eine alljährliche Klassenfahrt. Morgens auf der Autobahn sieht man ab dem Schiersteiner Kreuz,spätestens aber hinterm Frankfurter Kreuz bekannte Autos, Kennzeichen, Gesichter. Bei den wenigen Unbekannten rät man - wer rast wohl am Sonntag in aller Herrgottsfrühe gen Nordwesten, Nummernschild aus irgendnem Weinanbaugebiet, Hemd und Krawatte, Sakko am Haken?

Sehr viel kleiner und vertrauter geht es in Mainz zu. Wenn die Prowein das Klassentreffen ist, dann ist die Weinbörse eine Art Familientreffen. Immer am letzten Aprilwochenende, immer gleichzeitig mit den Rheingauer Schlemmerwochen, fast immer bei schönem, oft warmen Wetter. Immer mehr oder weniger die gleichen Gesichter, vor und hinter den Ständen. Immer mit einem einzigartigen Überblick über das Who is Who der deutschen Topwinzer. Und immer zwei viel zu kurze Tage mit viel zu viel Programm und viel zu langen abgearbeitet zu werden wollenden Listen.


Über den (vorrangig) präsentierten Jahrgang 2012 ist schon viel geschrieben worden.
Unser Eindruck nach Prowein, Weinbörse und diversen Stippvisiten bei (noch) unbekannteren Winzern: Ein gutes Jahr. Keine Ausreißer nach unten, fast kein Wein, der uns so gar nicht gefiel. Ein Jahr mit guten Voraussetzungen für Winzer, die konsequent gearbeitet haben. Ein Jahrgang mit Säure. Und mit auffallend mehr Winzern, die sich trauen, die Weine nicht gefällig und nett auszubauen, sondern mit mehr Ecken und Kanten, und zwar quer durch alle Anbaugebiete. Den mancherorts proklamierten tiefen Graben, der den VDP in Sicherheitslangweiler und junge Wilde spaltet, haben wir so nicht gesehen. Dafür an vielen Ecken Mut zu Neuem, das vielleicht in Wirklichkeit das Alte ist, aber selten konsequent durch die komplette Kollektion. Zum Teil mag das auch schlicht dem Generationenwechsel in den Weingütern geschuldet sein.
Aber, ja, es bewegt sich was.



Unsere Eindrücke in Kürze - eine Momentaufnahme, wir haben bei weitem nicht alles geschafft.

Mosel.Clemens Busch mit einer hervorragenden Spätlese Marienburg, noch als Fassprobe, kandierte Früchte, ananasmarzipanig, großes Theater.
Weingut Milz-Laurentiushof - hatten wir bislang eher weniger auf dem Schirm. Riesling 180° trocken, mineralisch süffig, viel saftige Frucht und ein Zuckerschwänzchen. Gut, aber besser gefiel uns das (2011er) Große Gewächs aus dem Leiterchen. Tief, viel Schmelz und Würze, sehr dicht.

Mittelrhein. Lanius-Knab. Steeger St. Jost. Trockene, reife Frucht, zupackende Säure. Kernig. Gut.

Ab an die Nahe. Diel. Die Weine wirken allesamt sehr burgundisch, cremig und schmelzig, blind hätten wir vielleicht nicht alle Rieslinge als solche identifiziert.

Prinz Salm präsentierte einen Riesling "Grünschiefer" - etwas parfümiert wirkend, eher der leichtere Typ, und tatsächlich - Synästhetiker aufgehorcht! - "dunkelgrün" schmeckend.

Rheinhessen. Stefan Winters Weine hatten uns schon am Vortag auf der Ortsweinpräsentation gut gefallen . Hier: Geyersberg. Fest und straff, rauchige Mineralik, gute Säure. Schön.

Pfalz. Bürklin-Wolf. Ein Gutswein, den man wahrscheinlich blind erkennen würde. Trocken, kernig, animierend, ein guter Trinkwein. Visitenkarte mit Wiedererkennungswert.

Weingut Kranz mit einer Fassprobe "Vom Landschneckenkalk" - ein Ortswein. (Dazu demnächst mehr.) Sehr schlank, dabei saftig und frisch, kühle Mineralik. Das 2011er GG Kalmit mit viel Melonenfrucht und salziger Mineralik.

Theo Minges. Ein Wein, der Froschkönig heißt. "Old-school"-Freaks, aufgepasst! Fassprobe, Jahrgang 2011. 3000 Liter. Lange Maischestandzeit. Rein spontan vergoren. 16 Monate auf der Vollhefe sich selbst überlassen. Bestes Lesegut und Vertrauen des Winzers darin, dass der Wein "wie ein Pubertierender" seinen eigenen Weg findet. Reife Steinobst- und weiße-Beeren-Aromen. Ungemein tiefgründig und vielschichtig, noch ein bisschen unruhig, aber mit viel Druck. Chapeau.


Franken. Bickel-Stumpf. Frickenhauser Kapellenberg, Fränkischer Gemischter Satz trocken. Silvaner, Riesling, Traminer, Elbling, Gelber und Roter Muskateller sowie Heunisch. Irgendwas vergessen? Zart, süffig, charmant, ein unkomplizierter Sommerwein. Daneben der Silvaner trocken vom Frickenhausener Kapellenberg. Schöne, feste Frucht, Steinobst, viel tiefe Mineralik.

Rheingau. Eigentlich wollten wir uns das für die Schlemmerwochen aufheben, aber wenn man schon mal da ist ... Flick. Hochheimer Königin Victoriaberg. Riesling trocken. Ein mächtiger Wein, viel süßliche, dicke Frucht, Alkohol und Länge. Charmanter der Riesling aus dem Wickerer Nonnberg, tolle Nase, saftig und rund, opulent, aber nicht breit.

Graf von Kanitz. Riesling Lorch Quarzit. Rauchige Mineralik, verhaltene süßliche Frucht, knallige Säure. Stark!

F.B. Schönleber. Eine der Neuaufnahmen. Riesling Mittelheimer Edelmann. Sehr kernig, mal wieder viel, gute Säure, ausgesprochen unsüß, tiefe, würzige Mineralik.


Die üblichen Verdächtigen, quer durch alle Anbaugebiete - durchgängig groß. Nicht überraschend, aber erfreulich.

Ob der VDP sich mit der neuen Lagenklassifikation hingegen einen großen Gefallen getan hat, ob und wie das beim Verbraucher jenseits der Freak-Szene ankommt - viele offene Fragen. Demnächst in diesem Theater.