Donnerstag, 30. August 2012

VDP Sneak Preview: Trau, schau, wem ... im Rheingau

Zwei anstrengende Tage in Wiesbaden Anfang der Woche sind vorbei - und die Bloggerscene berichtet. U.a. sehr lesenswert Marcus Vahlefeld. Auch Dirk Würtz hat kommentiert (on the fly und als einer der ersten) ... u. a.: „Einer der häufigsten Sätze, die ich zu hören bekam war: Der Rheingau ist das schlechteste Anbaugebiet von allen”. 

Das stimmt so natürlich so nicht – auch im Durchschnitts-Vergleich. Wenn wir unsere Riesling-Notizen durchgehen - und: Ja, wir haben über die zwei Tage in Wiesbaden alle präsentierten Rieslinge probiert! - schneiden aus unserer Sicht die Pfalz, Baden und Württemberg schlechter ab als der Rheingau. 
Das heißt aber nicht, dass es hier Anlass zu übermäßiger Euphorie gibt, weil der Rheingau, mal wieder, und auch wie im letzten Jahr, qualitätsmäßig sehr heterogen ist. Ein Phänomen, das sich auch (und eher noch stärker) außerhalb der Reihen des VDP beobachten lässt.

Nur: Das ist beispielsweise im Burgund genau so. Hier kritisiert aber keiner (oder nur wenige) in Deutschland, wenn „Grand Cru“ auf der Flasche steht, 50 Euro plus für das Zeug verlangt wird und echter „Schrott“ drin ist. Mit Schrott meinen wir hier eindeutig fehlerhaft – Geschmack hin oder her.

„Schrott“ gab es in Wiesbaden nicht. Im Gegenteil! Weltweit gibt es in unseren Augen kaum ein anderes Land, das in der Lage, ist 360 Weine auf diesem Niveau (und insbesonders auf einer einzigen Veranstaltung), zu präsentieren. Das muss auch mal gesagt werden. Und das alles sensationell professionell, kompetent und außerordentlich freundlich organisiert, auch das muss mal gesagt werden.

Der Jahrgang 2011 aus Deutschland ist schon jetzt viel zugänglicher als 2010, und das betrifft auch den Rheingau. Hier und dort fehlt ein bisschen Substanz und Tiefe, hohe Mostgewichte sind nicht immer eine Garantie für herausragende Qualitäten, und Fäulnis und Essignester waren partiell wirklich ein Problem, Diejenigen Winzer, die sorgfältig gearbeitet haben und ein bisschen später ernten konnten, stehen aber ohne Zweifel mit sehr feinen Kollektionen da. Und die meisten VDP Weingüter haben offenbar sorgfältig gearbeitet ;-).

Graf von Kanitz Kapellenberg (91) und Pfaffenwies beide (91) - beide sehr gut, klar im Stil, guter Schmelz. Berg Roseneck (89) von Allendorf ist leichter, aber auch in sich stimmig. Johannishof brachte eine Hölle (89) und einen Berg Rottland (90) mit, beide harmonisch, klar, saftig. Schloss Schönborn konnte diesmal richtig punkten mit Berg Schlossberg (91), Pfaffenberg (91), Marcobrunn (92), tolle saftige Weine mit viel Länge, und insbesondere der Marcobrunn zeigt Mineralität und Herkunft. Nur der Domdechaney (88) fällt hier heraus.
G.H. von Mumm’sches Weingut steigert sich mit Hölle (89) und Berg Rottland (90) ebenfalls. Die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach präsentierten nur einen Wein, den Berg Schlossberg (89), harmonisch und gut gemacht. Kesseler hatte einen Berg Schlossberg (92+) mit viel Druck und elegantem Säurespiel dabei. Wegelers Berg Schlossberg (92) sehen wir auf demselben Niveau, auch hier viel Tiefe und Rückgrat. Friedrich Fendels Klosterlay (88) ist ziemlich süß, der Alkohol ist zwar gut eingebunden, dieser bringt aber auch zusätzliche Süße mit. Schloss Johannisbergs Johannisberger (93) ist sehr komplex, sowohl in der Nase wie auch auf der Zunge und setzt die gute Entwicklung aus den Vorjahren fort. Schloss Vollrads (87) ist relativ eindimensional, ohne Schmelz, ohne Kernigkeit, dabei säurebetont.

Jesuitengarten von Prinz von Hessen (90) ist klar, straight, saftig. Lenchen (91) von August Eser ist sehr klar, ausgewogen gleichzeitig aber mit Struktur und Biss. Das Lenchen von Spreitzer (90+) hat eine rauchige Nase und eine Andeutung von Orangenschalen im saftigen Geschmack. Wisselbrunnen (89) ist auf ähnlichem Niveau, hier fehlt vielleicht ein bisschen tiefgründiger Charakter.
Schönhell (90) vom Barth: Cremig, fast schon glatt, gut balanciert und mit Restsüße ausgestat: stoffig und mit guter Länge. Domdechant Werner’sches Weingut brachte einen  von Botrytis geprägten Domdechaney (87) mit. Kirchenstück (88) ist klarer in der Struktur, aber  auch von viel Alkohol geprägt. Jakob Jungs Siegelsberg (91+) ist ein frischer Wein mit einer feinen Säure, ordentlich Druck und guter Länge. Siegelsberg (88) von Detlev Ritter und Edler von Oettinger hat einen Hauch Flüchtiges in der Nase und ist relativ gefällig. Hier zeigt sich der  Marcobrunn (90) deutlich facettenreicher in der Substanz. Siegelsberg (89) von Schloss Reinhartshausen (89) ist gut, der Schlossberg (90) ein Tick eleganter. Der Langenberg (89) von Diefenhardt ist ein bisschen breit und glatt im Stil. Weingut Toni Jost ist eine Bank, hier mit einem Walkenberg (92+), fett in der Nase, sehr gutem Säurespiel und sehr lang. Der Gräfenberg (93+) von Weil ist noch saftiger und konzentrierter im Geschmack und wie immer sehr “traubig”.

Baron von Knyphausen brachte einen Steinmorgen (89) mit. Rauchige Nase, klar in der Struktur.
Zur Georg Müller Stiftung hatten wir in den vergangenen Jahren ein ambivalentes Verhältnis. Generell kann man aber eine deutliche Qualitätssteigerung verbuchen, die drei mitgebrachten Weine Hassel (89), Nussbrunnen (89) und Schützenhaus (88) waren alle nicht so fokussiert im Bouquet, der Schützenhaus sogar mit einem Hauch Flüchtige. Im Geschmack sind aber alle sehr gut, mit Kraft und Länge, ein guter Ansatz, Weine auf Topniveau zu machen - wenn sie denn ein bisschen weniger Restzucker hätten.
Noch extremer in diese Richtung gehen auch die Weine von Balthasar Ress - hier aber kompromissloser und einfach nur absolut gelungen. Der Berg Schlossberg (93+) ist in der Farbe tiefer als die meisten, Spontinase ohne Ende, feine Säure, kraftvoller Geschmack geprägt von Mannoproteinen, liegen lassen!!! dieser Wein hat viel Potential. Der Nussbrunnen (93) hat tatsächlich einen nussigen Geschmack, auch hier volle Kanne „Sponti“, trocken, saftig, kraftvoll, dabei sehr straight - großartig. Diesen Wein kann man nur lieben oder als “zu schräg” ablehnen - dazwischen gibt es nichts.

Künstler macht Weine, die alle geschliffen und elegant sind, trotzdem komplex, unendlich tief und mit guter Länge. Alles also wie gehabt! Dieses Jahr waren drei dabei. Kirchenstück (92), Berg Rottland (92+) und Hölle (95). Hölle ist damit der Wein, dem wir in Wiesbaden 2012 die meisten Punkte gegeben haben.

Und nun? Quo vadis, Rheingau Riesling?
Sollen alle Produzenten Weil, Künstler oder Ress nachahmen? Auf gar keinem Fall, Vielfalt  kann auch eine Stärke sein.
Und: Wenn Verbraucher auf diesem Niveau kaufen, kaufen sie nicht Anbaugebiet, sondern eher Weine bestimmter Weingüter und damit „Brands“. (Findet Lars).
Abweichende Meinungen: siehe nächster Blogbeitrag ;-).

Wir haben aber (beide) überhaupt kein Probleme damit, dass die Weine von Ress sich stilistisch komplett von vielen anderen abheben. Also eine andere Machart repräsentieren, genauso wie das Weingut von Winning in der Pfalz, dessen Topweine btw dieses Jahr sehr viel weniger holzgeprägt sind wie der Jahrgang 2010.
Unterm Strich heißt das aber trotzdem, dass bei den Großen Gewächsen bzw. Ersten Gewächsen ein gewisses definiertes Qualitätsniveau erreicht werden muss, sonst verliert die Klassifizierung an Glaubwürdigkeit und wird irgendwann ad absurdum geführt.
Und einmal verloren….siehe “Selection“, “DC” und wie sie alle hießen, die wir längst vergessen haben.

4 Kommentare:

  1. Da hat er aber Recht der Lars! :-)
    Auch wenn ich die abweichende Meinung im nächster Blogbeitrag trotzdem lesen will.

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  2. 13 September 2012
    Re: Balthasar Ress wines at GG sneak preview 2012
    As an English-speaking reader, I find your wine descriptions a challenge to understand...creative, but challenging.
    Could you please tell me what a “Spontinase” means? I haven’t a clue!
    Der Berg Schlossberg (93+)...Spontinase ohne Ende
    Der Nussbrunnen (93) hat tatsächlich einen nussigen Geschmack, auch hier volle Kanne „Sponti“,...
    Many thanks for some sort of explanation.

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  3. Hi Kerry,

    With "Spontinase" we mean the typical bouquet of a spontaneous fermentation. This sort of fermentation often brings more complexity in to the wine, because wild yeast (up to approx. ten different) are also working at the beginning of the fermentation and not only one industrial yeast. The wild yeasts can only live in enviroment containing less than 4 to 6 vol. alc. When this level is reached a yeast of the family Sacaromyces will take over and complete the fermentation. Wines made this way is, however not automatically better than wines fermented with an industrial yeast.

    With 360 wines to taste it is difficult to make a long in-depth tasting note for every wine. Thats the reason for the very compact way of writing.

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  4. Thanks, Lars. In the meantime, I’ve also been reading up on mannoproteins...it’s never too late to learn something new.

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